Eine kleine Informationssammlung zur Ostsee: Kormorane ./. Dorsch und Hering

 

Seit langem besteht der dringende Verdacht, dass die Dimension der Fraßschäden des Kormorans auch in der Ostsee immens ist und dies – genau wie bei unseren Mittelgebirgsgewässern – systematisch kleingeredet, zwischen anderen Einflussfaktoren versteckt oder gar geleugnet wird. Jetzt, im Jahr 2024, soll an der Ostsee eine umfassende Untersuchung dazu gestartet werden, wieder nicht durch Referenzgebiete, die zu 100% vor Kormoraneinfall geschützt werden und erste Trittsteine für die Fischfauna darstellen würden, sondern vor allem anhand von Speiballenuntersuchungen. Genaue Beobachter und Kenner der Szene gehen für die Ostsee daher – wieder – von sichtbarem Verlust an Jahren, also Spiel auf Zeit, und zugleich – wieder – von jahrelang ausbleibenden zielgerichteten wirksamen Fischschutzmaßnahmen aus. Ist das nicht unverantwortlich?

Hinweis: In Forschungsvorhaben werden von der Wissenschaft verschiedentlich Speiballen unter Kormoran-Schlafbäumen gesammelt und auf die verspeisten Fischarten und -mengen untersucht. Das ist eine nicht letale Alternative zur Untersuchung von Mageninhalten abgeschossener Vögel. Dabei muss beachtet werden, dass man immer nur das an Fischarten nachweisen wird, das im Fraßraum (Fouragierradius) um diese Schlafplätze heute auch in nennenswerter Dicht lebt! Bereits vor ein oder zwei Dekaden Weggefressenes findet man bestimmt nicht (mehr)!

Wir haben in unserem Verein keine eigene fachliche Kompetenz für den Küstenbereich und die Berufsfischerei dort. Hier soll daher zumindest versucht werden, die bestehende Informationslage über gesammelte Pressemeldungen der letzten beiden Jahre darzustellen.

 


Uns erreichte im November 2023 eine Zeitungsmeldung aus Schleswig-Holstein

Frist der Kormoran zu viel Dorsch?“

Untertitel:

„Fischer machen den Vogel für schwindenden Bestand verantwortlich – Studie soll zeigen, ob er wirklich schuld ist.

Der Direktor des Instituts für Binnenfischerei, Uwe Brämick, wird dort zitiert:
„Kormorane am Dassower See (bei Lübeck) haben ähnlich viele Dorsche gefressen, wie alle deutschen Berufsfischer 2022 als Fangquote zustand.“

und

eine Web-Seite des NDR vom 18. Dezember 2023 ist überschrieben:

Speiballen für die Forschung: Wieviel Dorsch frisst der Kormoran?

Untertitel:

Der Dorschbestand in der westlichen Ostsee befindet sich auf einem historischen Tiefststand.

und dann noch im Text:

Erstmals überhaupt untersuchen Wissenschaftler nun, ob dessen Population möglicherweise vom Kormoran nachhaltig beeinflusst wird.

Wie gesagt Meldungen von Ende des Jahres 2023! Ist das nicht unglaublich? Kann man diesen letzten Satz ernst nehmen? Erkennt man nicht daran alleine, dass der Begriff Kormoran-Skandal angemessen ist?

 


Im Oktober 2023 fand in Danzig ein Workshop des BSAC (Baltic Sea Advisory Council) zum Thema Prädatoren: „Robben und Kormorane“ (Seals – Cormorants“ statt.

Aus Dänemark trug auch hier Nils Jepsen vor. Hier die Grafik „Bilder sagen mehr als Worte“ seiner Präsentation.

Zahlreiche Beiträge sind wirklich lesenswert. Es wird u.a. sehr deutlich, dass

  • die Fischmassenverluste durch Prädatoren bei Bilanzierungen von Fischmasse und Fangmengen zumeist bewusst nicht nicht eingerechnet werden – wohl als unbeeinflussbare (ähnlich dem Klimawandel) „natürliche“ Verluste, nicht erwähnenswert sind und
  • die Kegelrobben in Teilbereichen der Ostsee einen ebenfalls signifikanten Faktor darstellen.

 


Im Juli 2023 hatten wir folgendes zur Fischfauna der Ostsee veröffentlicht:

Auch zu dem Drama der Ostsee sehen wir unverändert Spielen auf Zeit statt endlich ein entschlossenes Gegensteuern!

Der Spiegel: https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/dorschmangel-in-der-ostsee-fressen-kormorane-den-fischern-die-fische-weg-a-e01c3426-5b73-4173-9b31-7a64976a4848

Der Stern: https://www.stern.de/gesellschaft/regional/hamburg-schleswig-holstein/fischerei–sind-kormorane-schuld-am-dorsch-mangel–studie-geplant-33525700.html

Ein sehr gut informierter Beobachter des K-Skandals schrieb uns dazu seinerzeit: „Noch eine Untersuchung… Wie viele noch?“

 


Unser Beitrag aus Februar 2022: Aktuelle Speiballenuntersuchung im Ostseeraum ermöglicht Rückschluss auf die Fraßschäden im Meer: Die Situation dort ist womöglich ähnlich drastisch wie in unseren Flüssen

Besondere Aufmerksamkeit erhält jetzt aktuell ein Bericht des Instituts für Binnenfischerei e.V. aus Potsdam-Sacrow, das in den Gebieten Plöner Seen, Untertrave und Schlei im Auftrag des Umweltministeriums Schleswig-Holsteins Speiballen untersucht hat.

Die nachgewiesenen Beutefische, mit der Anzahl in der Region lebender Kormorane hochgerechnet, zeigen, in welchen astronomischen Dimensionen sich die Fraßschäden etwa bei Dorsch und Hering in der Lübecker Bucht oder an der gesamten Deutschen Ostseeküste bewegen. Auch die täglich verspeiste Fischmenge eines Vogels wird mit 450g bis zu 700g erneut unabhängig bestimmt. Eine empfehlenswerte Zusammenfassung und Kommentierung des Berichts finden Sie in dem Artikel „Kormoran oder Berufsfischer: Wer entnimmt mehr Fisch?“ des Blinkers.

Auch die folgenden Links befassen sich mit dem Bericht aus Potsdam:

– Ein Artikel im Fischmagazin

– Eine Pressemitteilung des Deutschen Fischerei-Verband e.V.

 


In einem Beitrag hatten wir über eine Anhörung von Experten am 11. Mai 2022 vor einem Ausschuss des Europäischen Parlaments berichtet. Für die Ostsee ist vor allem der Beitrag aus Dänemark von hoher Relevanz:

Niels Jepsen stellte Untersuchungsergebnisse aus Dänemark vor, die den enormen Fischfraß dort belegen. Vieles, vor allem die Höhe der Fischverluste, gelten analog europaweit, wenn sich auch die betroffenen Fischarten und die Zeitperioden der Einflüge unterscheiden. Die Folien seines Vortrags sind sehr beeindruckend.

Bitte schauen Sie hinein, lesen Sie, auch wenn in Englisch, etwa:

  • von 10000 markierten Jungaalen (eel) wurden nachweislich in einem Jahr 40 – 50% aufgefressen
  • alle markierten Flundern einer Untersuchungsreihe, 4000 Tiere, waren in 2 Wochen verschwunden
  • 40 – 50% der markierten Smolts (Junglachse)
  • in einem Äschen-Flussabschitt: von 25 markierten Äschen (grayling) überlebten den Winter nur 2; die Fischbiomasse ging dort mit dem Kormoran-Überfall um 80% zurück
  • Zahlengerüst Kabeljau/Dorsch (cod) in der westl. Ostsee: Der Zuwachs wird auf 4-17 Million Fische geschätzt, die Hochrechnung des Kormoran-Fraßes auf 15 Million!